Die erste Etappe der Erbrechtsrevision: Teil 1
Am 1. Januar 2023 tritt der sog. politische Teil der Erbrechtsrevision in Kraft. Im Zentrum der Revision steht die Reduktion der Pflichtteile. Erblasser und Erblasserinnen sollen dadurch in Zukunft mehr Gestaltungsspielraum erhalten. Die Revision beschränkt sich aber nicht nur auf die Reduktion der Pflichtteile. Das sind die wichtigsten Änderungen:
Wer ist unter dem neuen Rechtpflichtteilsgeschützt und wie hoch sind die Pflichtteile?
Unter dem geltenden Recht betragen die Pflichtteile der Nachkommen drei Viertel, mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts nur noch die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs (Art. 471 revZGB). Der Pflichtteil der Eltern wird gänzlich entfallen (vgl. Art. 470 Abs. 1 revZGB). Damit können Erblasser und Erblasserinnen zu Lebzeiten (z.B. mittels Schenkungen) oder auf den Tod (mittels Testament oder Erbvertrag) freier über ihr Vermögen verfügen – je nach den Nachlassplanungswünschen im konkreten Fall. Nicht verändern wird sich der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten. Dessen Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.
Beispiel: Ein geschiedener Unternehmer mit zwei Söhnen und einer Tochter möchte im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge die im Unternehmen tätige Tochter begünstigen. Unter dem neuen Recht beträgt der Pflichtteil der Kinder je einen Sechstel (die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs von einem Drittel) und die frei verfügbare Quote die Hälfte. Der im Unternehmen tätigen Tochter können damit unter dem neuen Recht insgesamt zwei Drittel des Nachlasses zugewiesen werden.
Welche erbrechtlichen Neuerungen betreffen insbesondere verheiratete Erblasser*innen mit gemeinsamen Nachkommen?
Die erste Neuerung betrifft Ehegatten, die einen Ehevertrag schliessen und sich darin im Todesfall ehegüterrechtlich begünstigen. Mit einem Ehevertrag können Ehegatten unter dem Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung für den Todesfall vereinbaren, dass nicht nur die gesetzlich vorgesehene Hälfte, sondern die ganze eheliche Errungenschaft dem länger lebenden Ehepartner zugewiesen wird. Der Nachlass besteht damit nach der ehegüterrechtlichen Auseinandersetzung nur noch aus dem erblasserischen Eigengut (in die Ehe eingebrachtes Vermögen oder während der Ehe geerbtes Vermögen). Auf die Teilung des erblasserischen Eigenguts (= Nachlass) kommen sodann die erbrechtlichen Regelungen zur Anwendung.
Beispiel: Ehevertragliche Begünstigung der Ehefrau bei Vorversterben des Ehemannes unter dem ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung:
Ehevertragliche Begünstigungen des überlebenden Ehegatten sind in der Praxis sehr häufig. Das neue Recht stellt nun klar (was unter dem geltenden Recht umstritten war), dass die übergesetzliche Vorschlagszuweisung bei der Berechnung der erbrechtlichen Pflichtteile der gemeinsamen Nachkommen nicht zu berücksichtigen ist (Art. 216 Abs. 2 revZGB). Die Pflichtteile der gemeinsamen Nachkommen berechnen sich bei der Errungenschaftsbeteiligung mit güterrechtlicher Meistbegünstigung somit nur vom Eigengut des erstversterbenden Ehegatten. Das neue Recht stärkt damit die Position des überlebenden Ehegatten zulasten der Pflichtteile der gemeinsamen Nachkommen. Diese Klärung ist erfreulich und nicht selbstverständlich, ist sie doch im Parlament erst in letzter Minute auf Anregung der Praxis und entgegen den Vorschlägen des Bundesrats aufgenommen worden.
Die zweite Neuerung gibt Ehegatten mit gemeinsamen Kindern mehr Gestaltungsspielraum, wenn sie sich für eine erbrechtliche Nutzniessungslösung entscheiden (Art. 473 revZGB). Eine Erblasserin kann ihrem Ehemann letztwillig an der Hälfte des Nachlasses die Nutzniessung vermachen und ihm überdies an der anderen Hälfte des Nachlasses das Eigentum zuweisen (statt nur an einem Viertel unter dem geltenden Recht). Dies kann – je nach der konkreten Lebens- und Vermögenssituation – eine weitgehende Begünstigung des überlebenden Ehemannes gegenüber den gemeinsamen Nachkommen ermöglichen.
Das Erbrecht zwischen Scheidungsgatten wird sich ändern. Worum geht es hier?
Aktuell gilt, dass Ehegatten ihre gegenseitigen Erb- und Pflichtteilsansprüche dann verlieren, wenn sie rechtskräftig geschieden sind. Künftig wird der Pflichtteilsschutz der Ehegatten (nicht aber das gesetzliche Erbrecht!) grundsätzlich bereits dann entfallen, wenn ein Scheidungsverfahren hängig ist (Art. 472 revZGB). In Scheidung befindliche Ehegatten können einander während der Scheidung also testamentarisch enterben. Zudem können Scheidungsgatten unter dem neuen Recht keine sie begünstigenden Ansprüche aus einem Testament oder Erbvertrag geltend machen, wenn einer der Scheidungspartner während des hängigen Scheidungsverfahrens verstirbt (Art. 120 Abs. 3 Ziff. 2 revZGB).
(Teil 2 folgt im Blog-Beitrag vom Juli.)
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Louise
Lutz Sciamanna
CMS von Erlach Partners AG,
Zürich
Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Erbrecht, LL.M., Counsel
Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Erbrecht, LL.M., Counsel
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