Recht

Neues Aktienrecht

20. October 2021 - 
Recht

Am 19. Juni 2020 hat das Parlament das neue Aktienrecht verabschiedet, welches wahrscheinlich 2023 in Kraft treten wird. Die Hauptziele der Aktienrechtsrevision waren die Verbesserung der Corporate Governance inklusive Stärkung der Aktionärsrechte, die Modernisierung der Generalversammlung und die Flexibilisierung der Kapitalvorschriften. Eine Auswahl praxisrelevanter Neuerungen.

Aktienkapital und Aktien

Das Aktienkapital beträgt immer noch mindestens 100‘000 Franken (Art. 621 nOR). Neu kann es auf eine für die Geschäftstätigkeit wesentliche ausländische Währung lauten. Diesfalls müssen auch Buchführung und Rechnungslegung in der Währung des Aktienkapitals erfolgen. Bei einem Aktienkapital in Fremdwährung sind sämtliche kapitalbezogenen Aspekte (z.B. Dividenden, Reserven, Überschuldung) nach der entsprechenden Fremdwährung zu beurteilen. Zum Zeitpunkt der Errichtung muss der Gegenwert der ausländischen Währung mindestens 100‘000 Franken betragen. Die Generalversammlung kann den Währungswechsel jeweils auf den Beginn des Geschäftsjahres beschliessen. Diesfalls passt der Verwaltungsrat die Statuten entsprechend an. Die Beschlüsse der Generalversammlung und des Verwaltungsrats betreffend Wechsel der Aktienkapitalwährung müssen öffentlich beurkundet werden.

Der Nennwert der Aktie muss neu grösser Null sein (Art. 622 Abs. 4 nOR). Die nennwertlose Aktie gibt es also auch im neuen Aktienrecht nicht. Mussten bisher die Statuten bestimmen, ob Namen- in Inhaberaktien umgewandelt werden konnten und umgekehrt, ist dies neu von Gesetzes wegen möglich (Art. 622 Abs. 3 nOR). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Inhaberaktien nur noch dann zulässig sind, wenn die Gesellschaft börsenkotiert ist oder ihre Inhaberaktien als Bucheffekten ausgestaltet sind (Art. 622 Abs. 1bis OR).

Neu können die Statuen ein sog. Kapitalband vorsehen (Art. 653s ff. nOR). In diesem Fall wird der Verwaltungsrat statutarisch ermächtigt, das Aktienkapital während längstens fünf Jahren innerhalb einer bestimmten Bandbreite (Kapitalband) zu verändern. Die Schaffung eines Kapitalbands ist nur möglich, wenn die Gesellschaft nicht auf die eingeschränkte Revision verzichtet hat. Die Grenzen des Kapitalbands dürfen das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital von Gesetzes wegen um höchstens 50 Prozent übersteigen oder unterschreiten. Die Statuten können das Kapitalband innerhalb dieser Grenzen aber auch zusätzlich einschränken und insbesondere auch vorsehen, dass der Verwaltungsrat das Aktienkapital nur erhöhen oder nur herabsetzen darf. Bei der Einführung eines Kapitalbands müssen neben der oberen und unteren Grenze des Kapitalbands verschiedene Punkte statutarisch geregelt sein (Art. 653t nOR).

Schliesslich sieht das neue Aktienrecht Erleichterungen vor bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung (Art. 653j ff. nOR). So ist nur noch eine einmalige Publikation (heute dreimalig) des Schuldenrufs im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) nötig, und die Gläubiger können nur noch innerhalb von 30 Tagen (heute zwei Monate) die Sicherstellung ihrer Forderungen im Umfang der Verminderung der bisherigen Deckung verlangen. Die Sicherstellungspflicht entfällt, wenn die Gesellschaft die Forderung erfüllt oder den Nachweis erbringt, dass die Forderung durch die Kapitalherabsetzung nicht gefährdet wird. Liegt im Zeitpunkt des öffentlich zu beurkundenden Beschlusses der Generalversammlung über die Kapitalherabsetzung der Bilanzstichtag mehr als sechs Monate zurück, muss ein Zwischenabschluss erstellt und von einem zugelassenen Revisionsexperten geprüft werden. Neu muss der zugelassene Revisionsexperte gestützt auf den Abschluss und das Ergebnis des Schuldenrufs schriftlich bestätigen, dass die Forderungen der Gläubiger trotz Kapitalherabsetzung vollumfänglich gedeckt sind. Schuldenruf und Prüfung können neu vor dem Beschluss der Generalversammlung erfolgen. Diesfalls muss der Verwaltungsrat über das entsprechende Ergebnis informieren und der zugelassene Revisionsexperte muss an der Generalversammlung anwesend sein (es sei denn diese habe durch einstimmigen Beschluss auf seine Anwesenheit verzichtet.)

Das neue Aktienrecht schreibt explizit vor, was der gesetzlichen Kapitalreserve (Art. 671 nOR), der gesetzlichen Gewinnreserve (Art. 672 nOR) und was der freiwilligen Gewinnreserve (Art. 673 nOR) zugeteilt wird und schreibt die Reihenfolge für die Verrechnung von Verlusten vor (Art. 674 nOR): Gewinnvortrag, freiwillige Gewinnreserven, gesetzliche Gewinnreserven, gesetzliche Kapitalreserven. Anstelle der Verrechnung ist ein ganzer oder teilweiser Vortrag auf die neue Jahresrechnung möglich.

Schliesslich lässt das neue Aktienrecht Zwischendividenden explizit zu (Art. 675a nOR), sofern die Voraussetzungen für eine Dividendenausschüttung erfüllt sind. Zudem muss ein geprüfter Zwischenabschluss vorliegen (Ausnahme Opting-out) oder sämtliche Aktionäre müssen Zustimmen und die Forderungen der Gläubiger dürfen durch das Ausschütten der Zwischendividende nicht gefährdet werden.
 

Aktionäre und Generalversammlung

Im Sinne einer verbesserten Corporate Governance stärkt das neue Aktienrecht die Aktionärsrechte und erleichtert deren Ausübung. Dabei unterscheidet es in vielen Fällen zwischen börsenkotierten und nichtkotierten Gesellschaften. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick:

Tabelle Aktienrecht

Das neue Aktienrecht hat die Bestimmungen über die Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung modernisiert und den heutigen Bedürfnissen angepasst. Insbesondere wird die Nutzung elektronischer Mittel und Durchführung der Generalversammlung im Ausland oder an mehreren Tagungsorten ermöglicht und geregelt.

Der Tagungsort der Generalversammlung wird durch den Verwaltungsrat bestimmt (Art. 701a Abs. 1 nOR). Er darf dabei die Ausübung der Aktionärsrechte im Zusammenhang mit der Generalversammlung nicht in unsachlicher Weise erschweren. Explizit möglich ist die Durchführung der Generalversammlung an verschiedenen Orten gleichzeitig, wenn die Voten der Teilnehmer unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden. Die Generalversammlung kann auch im Ausland durchgeführt werden. In diesem Fall bedarf es einer entsprechenden statutarischen Bestimmung und die Gesellschaft muss einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter haben, es sei denn, in nicht kotierten Aktiengesellschaften würden alle Aktionäre auf den unabhängigen Stimmrechtsvertreter verzichteten.

Der Verwaltungsrat kann vorsehen, dass Aktionäre, die nicht an der Generalversammlung anwesend sind, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben können (Art. 701c nOR). Diesfalls muss er die Verwendung der elektronischen Mittel regeln und namentlich sicherstellen, dass die Identität der Teilnehmer feststeht, die Voten in der Generalversammlung unmittelbar übertragen werden, jeder Teilnehmer Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen kann und das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht wird.

Sofern die Statuten diese Möglichkeit vorsehen kann die Generalversammlung neu auch rein mit elektronischen Mitteln und ohne Tagungsort durchgeführt werden (Art. 701d nOR). Die virtuelle Generalversammlung setzt neben einer entsprechenden Statutenbestimmung voraus, dass ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter bezeichnet wurde oder die Statuten von nicht kotierten Gesellschaften den Verzicht auf einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter ermöglichen. Zudem muss der Verwaltungsrat auch (und erst recht) für die virtuelle Generalversammlung die Verwendung elektronische Mittel bei der Ausübung der Aktionärsrechte regeln und insbesondere die korrekte Ausübung der Aktionärsrechte sowie die unverfälschten Abstimmungsergebnisse sicherstellen.
 

Verwaltungsrat

Mit der Überführung der VegüV-Bestimmungen ins Aktienrecht gelten für Wahl und Amtsdauer des Verwaltungsrats unterschiedliche Regelungen für börsenkotierte oder nicht kotierte Gesellschaften.

Bei kotierten Gesellschaften werden die VR-Mitglieder einzeln gewählt und ihre Amtsdauer beträgt ein Jahr bis zur nächsten ordentlichen Generalversammlung (Art. 710 Abs. 1 nOR). Der Präsident muss hier zwingend von der Generalversammlung gewählt werden. Auch bei nicht kotierten Gesellschaften werden die VR-Mitglieder einzeln gewählt, es sei denn die Statuten oder die Generalversammlung (einstimmig) sähen etwas anderes vor. Die Amtsdauer beträgt hier standardmässig drei Jahre, die Statuten können aber eine kürzere oder längere (max. sechs Jahre) Dauer vorsehen (Art. 710 Abs. 2 nOR). Wiederwahl ist sowohl bei kotierten als auch bei nicht kotierten Gesellschaften möglich.

Die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrats werden um zwei Pflichten erweitert: Um die Einreichung eines Nachlassstundungsgesuchs (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 7 nOR) und bei kotierten Gesellschaften um die Erstellung des Vergütungsberichts (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 8 nOR).

Neu wird der Umgang mit Interessenkonflikten im Verwaltungsrat gesetzlich geregelt (Art. 717a nOR). VR- und GL-Mitglieder müssen von Gesetzes wegen den Verwaltungsrat unverzüglich und vollständig über die betreffenden Interessenkonflikte informieren. Der Verwaltungsrat hat dann diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die zur Wahrung der Gesellschaftsinteressen nötig sind.

Während das geltende Recht dem Verwaltungsrat erst bei einem Kapitalverlust eine explizite Handlungspflicht auferlegt, verpflichtet das neue Aktienrecht den Verwaltungsrat explizit zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft und bei drohender Zahlungsunfähigkeit zur Handlung mit der gebotenen Eile (Art. 725 nOR). Bei einem Kapitalverlust ist neu nicht mehr zwingend die Einberufung der Generalversammlung nötig. Der Verwaltungsrat ergreift die nötigen Massnahmen (Art. 725a Abs. 1 nOR) und beantragt der Generalversammlung wenn nötig Massnahmen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (z.B. Kapitalherabsetzung). Bei einer Überschuldung kann die Benachrichtigung neu nicht nur bei Rangrücktritten im Ausmass der Überschuldung unterbleiben, sondern auch, wenn begründete Aussicht besteht, die Überschuldung innert höchstens 90 Tagen zu beheben (Art. 725b OR).
 

Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen

Partiell ist das neue Aktienrecht bereits in Kraft. Seit dem 20. Oktober 2020 gilt für die provisorische Nachlassstundung eine maximale Gesamtdauer von acht Monaten (Art. 293a Abs. 2 SchKG), und am 1. Januar 2021 sind die Transparenzvorschriften für Rohstoffunternehmen (Art. 964a ff. OR) sowie die Vorschriften betreffend Geschlechterrichtwerte für börsenkotierte Unternehmen (Art. 734f OR) in Kraft getreten. Aufgrund der Übergangsbestimmungen finden die Transparenzvorschriften für Rohstoffunternehmen erstmals auf das Geschäftsjahr 2022 Anwendung (Art. 7 ÜBest) und die Vorschriften über die Geschlechterrichtwerte für den Verwaltungsrat auf das Geschäftsjahr 2026 resp. für die Geschäftsleitung auf das Geschäftsjahr 2031 (Art. 4 ÜBest).

Die übrigen Bestimmungen des neuen Aktienrechts wird der Bundesrat voraussichtlich 2022 in Kraft setzen. Statuten, Reglemente und Verträge, die den Vorschriften des neuen Aktienrechts nicht entsprechen, müssen innerhalb von zwei Jahren (also voraussichtlich bis 2024) dem neuen Recht angepasst werden (Art. 2 und 6 ÜBest).
 

Seminar:

Die hier aufgeführten Neuerung sind auch Inhalt des halbtägigen Seminars "Aktienrechtsrevision" der STS am Freitag, 28. Oktober 2022. Das Seminar findet sowohl online als auch vor Ort in Zürich statt. Zur Anmeldung und weiteren Informationen gelangen Sie hier.

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Stefanie Meier-Gubser

Stefanie
 
Meier-Gubser

Partnerin advokatur 56 ag, Bern

Rechtsanwältin, CAS Arbeitsrecht Universität ZH, Law & Governance
 

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